Von Annahmen zu Anforder­ungen – UX als Innovations­treiber

Auch im Maschinenbau entscheidet längst nicht mehr nur die technische Performance über den Markterfolg. Produkte müssen intuitiv bedienbar und anschlussfähig in bestehende Arbeitsprozesse sein. Am Beispiel von watttron zeigen wir, wie Industrieunternehmen frühzeitig UX-Kompetenz einbinden – und dadurch echten Mehrwert für ihre Kunden schaffen.

Unsere Senior UX/UI Designerin Ellen zu Besuch bei der watttron GmbH

Am Anfang steht der Perspektivwechsel

Immer wieder treten Tech-Start-ups und moderne Maschinenbau-Unternehmen mit einer gemeinsamen Vision an uns heran: Sie entwickeln oder nutzen neue Technologien, um ihren Kunden ressourcenschonende, sicherere oder effizientere Alternativen zu herkömmlichen Bauteilen oder Herstellungsprozessen zu bieten. Die Neuerungen beinhalten meist auch digitale Komponenten – daher wünschen sich diese Partner Unterstützung bei der Gestaltung ihrer Bedienoberflächen. Die Entwicklungsteams sind hoch motiviert, insbesondere wenn es darum geht, im Labor Wirkungsgrade zu maximieren und alle technischen Potenziale umfänglich auszunutzen. Wir nehmen diese Impulse zunehmend wahr, lassen uns mitreißen von der Aufbruchstimmung und Euphorie und stellen uns der Aufgabe, gemeinsam die richtigen Entscheidungen zu treffen. 

Die Bedienoberfläche stellt einen besonders wichtigen Bestandteil jeder Neuentwicklung dar, denn eine gute User Experience macht Technologie den Menschen erst zugänglich. Eine große Herausforderung ist dabei immer wieder der notwendige Perspektivwechsel, der spätestens mit der ersten Markterprobung erfolgen muss. Nach Monaten, in denen Konstrukteur:innen, Technolog:innen und Entwickler:innen die Hauptnutzenden des Produkts waren, gilt es nun, den Fokus auf die Bedürfnisse der Endanwender:innen zu richten. Das klingt in der Theorie einfach und selbstverständlich – ist es aber nicht. Denn selbst die Frage, wer die Technologie anwenden kann, darf und soll, ist zu diesem Zeitpunkt oft noch ungeklärt. 

Dokumentation der Erkenntnisse aus der Nutzungskontextanalyse

Von Annahmen zu Einsichten: Der Weg zur Nutzungskontextanalyse

Mit genau diesen und vielen weiteren Fragen sahen wir uns gemeinsam mit der watttron GmbH, Hersteller hochpräziser Heizsysteme für Industrieanwendungen, konfrontiert. Ziel dieser ersten Projektphase war es, erstmals gültige Nutzungsanforderungen für die Bedienoberfläche zu definieren – aber wie? Es gab keine Blaupause, keine Erfahrungswerte aus dem Entwicklungsteam und kaum Anwenderfeedback. Im gemeinsamen Projekt starteten wir mit Annahmen zur Nutzergruppe – wissend, dass wir zur Klärung des Funktionsumfangs und für ein gemeinsames Verständnis die Stimmen der Anwender:innen hören mussten. 

Es ist unumgänglich, potenzielle Anwender:innen  oder, wie bei wattttron, interessierte Pilotkunden einzubeziehen, um strukturiert Informationen zum Nutzungskontext zu erheben. Eine Nutzungskontextanalyse beginnt mit der Identifikation von Nutzergruppen, deren Aufgabenstellungen, Werkzeugen, Arbeitsumgebungen und Herausforderungen in Bezug auf das neue System. Es gibt verschiedene Methoden, um diese Informationen zu erheben. In unserem Projekt entschieden wir uns für Einzelinterviews. In den Interviews mit Pilot-Benutzern konnten bereits erste Einblicke in die potenzielle Integration der neuen Technologie gewonnen werden. Darüber hinaus liefern die Gespräche wertvolle Informationen über bestehende Abläufe. Auf dieser Grundlage muss anschließend abgeleitet werden, wie die neue Technologie in diese Strukturen integriert werden und dabei den größten Mehrwert schaffen kann. 

Unsere Vorlage zum Erstellen von Stakeholder Journey Maps

Gemeinsam verstehen: Validierung durch Stakeholder-Dialog

Bereits in dieser frühen Phase ist kreative Denkweise gefragt – nicht im Sinne gestalterischer Lösungen, sondern im Erkennen und Ausloten möglicher Potenziale. Parallel zur Durchführung der Interviews entstanden sogenannte „User Stories“ und „Stakeholder Journey Maps“ – Diagramme, die chronologisch veranschaulichen, welche Ziele, Aufgaben und Teilaufgaben bestehen, wie die Gedanken- und Gefühlswelt aussieht und wo besondere Herausforderungen und Chancen in der Bedienung liegen. 

Mitunter sind Interview-Aussagen mehrdeutig oder widersprüchlich. Solche Informationen sind stets als „nicht gesichert“ zu kennzeichnen und im weiteren Projektverlauf zu hinterfragen. In unserem Projekt mit der watttron GmbH führten wir zu diesem Zweck einen Workshop mit einer Fokusgruppe aus zukünftigen Anwender:innen durch, konfrontierten diese mit unseren Thesen und Annahmen und luden zur Diskussion ein. Auf diese Weise konnten Aussagen besser verstanden, überprüft und bewertet werden. Nur wenn alle Informationen zum Nutzungskontext gesichert und zutreffend sind, liefern sie eine solide Basis für gültige Nutzungsanforderungen. 

Struktur schafft Fortschritt: Nutzungsanforderungen als Fundament

In einem dritten Schritt wurden Anforderungen für die jeweiligen User Stories abgeleitet. Dabei sind sowohl die präzise Formulierung als auch eine angemessene Flughöhe entscheidend. Wir formulierten die Nutzungsanforderungen in kurzen Sätzen aus der Anwenderperspektive. Wichtig war dabei, dass sie klar zu einem Konzept- und Umsetzungsauftrag führen, ohne bereits konkrete Lösungen vorzugeben. Ist dies erfüllt, befindet sich das Projekt auf dem richtigen Weg und kann in die Konzeptphase übergehen – mit strukturierten und priorisierten Anforderungen.  

Die Investition in saubere Nutzungsanforderungen zahlt sich mehrfach aus:

  • Das Bedienkonzept wird auf ein solides Fundament gestellt. 

  • Diskussionen über die Priorität von Funktionen können fundierter geführt werden.  

  • Das Entwicklungsteam wird befähigt, die richtigen Entscheidungen zu treffen und gegenüber Stakeholdern fundiert zu argumentieren.  

  • UI-Designer:innen erhalten klare Aufgabenstellungen. 

  • In der Konzeptphase können Usability-Tests entlang der Anforderungen durchgeführt werden – mit dem Ziel, die Umsetzung aus Anwender:innen-Sicht zu validieren. 

Fazit: Nutzungsanforderungen sind – insbesondere bei Produktneuheiten – unverzichtbar, um unser übergeordnetes Ziel zu erreichen: Die Entwicklung erfolgreicher Produkte mit dem Menschen im Zentrum. Nur so kann Innovation durch Software sichtbar und erlebbar gemacht werden. 

 

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